Manifestation de solidarité pour Charlie Hebdo à Berlin

Thierry Chervel: „Manifestation de solidarité pour Charlie Hebdo à Berlin“ (CC BY-NC 2.0)

Während die Welt in lautstarker Schockstarre um die Exekution von zwölf Menschen – darunter nahezu die gesamte Redaktion von Charlie Hebdo und Polizist_innen – verharrt, bemüht sich die deutsche Linke vor allem um nichtssagendes Schweigen. Dabei ist das  Magazin ist aus einem anarchistischen Verleger_innen-Projekt hervorgegangen und stand immer wieder an der Seite der französischen Linken und Linksradikalen und nimmt einen wichtigen Platz in der Historie der französischen Linken ein.

Das skizzierte Ende des guten Geschmacks?

Artikel, die Grausamkeit der Karikaturen von Charlie Hebdo betonen, haben in der kritischen Community gerade Aufwind. Das Projekt wird, weitab jeder differenzierten Betrachtung, als anti-emanzipatorisch gekennzeichnet, als ein Magazin, dass keiner politischer Unterstützung Bedarf. Ja, sich mit den Opfern solidarisieren. Aber nein, nicht mit dem Magazin, nicht also auch mit dem politischen Gehalt der Karikaturen und der Inhalte der Publizistik. Das zeugt nicht nur von dem Unverständnis der Pariser Denktradition der Satire.

It is directed, rather, against authority in general, against hierarchy and against the presumption that any individual or group has exclusive possession of the truth.

Sich alleinig mit den Opfern zu solidarisieren, heißt nun gerade auch, eine politische Dimension des Falles bewusst auszublenden. Das Massaker galt eben nicht nur den Redakteur_innen des Magazins. Es galt dem Magazin, es galt der linken Publizistik! Es galt der Religions- und Fundamentalismuskritik, die sich gleichermaßen in alle Richtungen der Bevormundung wandte – und dafür in der Vergangenheit gleichermaßen durch die französische Extreme Rechte genauso wie von Islamisten genauso wie von radikalklerikalen Organisationen angegriffen wurde. Es galt auch der Form der Satire, dem Ausdruck von  „bête et méchant“. Es galt der Freiheit, zu beleidigen, es galt der Freiheit, das Wohlbefinden der Lebenslügen der Menschen mit den Füßen zu treten.

Und einer verantwortungsvollen Linken kommt zu, genau diese freiheitliche Perspektive, die weit über den bürgerlichen Begriff „Presse- und Meinungsfreiheit“ hinausgeht, zu thematisieren. In seiner Geschichte war das Magazin immer wieder von den Zensur- und Verbotsbestrebungen der französischen Regierung betroffen. Auch das wird in dem aktuellen Diskurs immer wieder unterschlagen. Das Magazin war unbequem, allen, immer wieder. Wer den Finger in die Wunde legt, in aller Regelmäßigkeit, hat am Ende kaum noch Freunde. Um so heuchlerischer sind einige Stimmen derjenigen, die sich gerade mit dem Magazin solidarisieren und einen Angriff auf die „westliche Wertegemeinschaft“ darin sehen.

Missbrauch durch Rassist_innen und Arschlöcher

Aufzuzeigen, dass das Massaker an den Träger_innen linker Publizistik missbraucht wird, und zwar von denjenigen, die noch am Montag in Dresden „Lügenpresse“ riefen und in Berlin Journalist_innen in aller Regelmäßigkeit attackieren. Von denjenigen, die gegen „Charlie Hebdo“ noch vor wenigen Monaten prozessierten, um unangenehme Karikaturen zu zensieren. Sie sehen die Bestätigung ihrer rassistischen Thesen und fordern lautstark ein, dass ihre Solidarität nun also auch eine Art Weckruf des Endkampfes gegen den Islam in Europa zu sehen sein – und schüren damit das Feuer. Schon gestern Nacht litten Muslime in Frankreich unter rassistischen Angriffen auf ihre Gebetshäuser und Heimstätten.

Und während sich viele der großen Medienhäuser in den letzten Wochen fragten, was PEGIDA so stark gemacht hat, reduzieren die Publizistik von Charlie Hebdo auf islamismuskritische Zeichnungen und pflastern damit die Titelseiten. Ein angemessenes Gedenken sieht anders aus – es wird dem gedacht, wofür die Redakteure sterben mussten, nicht dem, wofür sie gelebt haben. Es stützt die rassistischen Vorurteile der bürgerlichen Mitte genauso wie es diejenigen in die Irre führt, die darin eine angebliche antimuslimische und rassistische Kampagne von Charlie Hebdo sehen wollen, die, die sich entsolidarisieren und sagen „Ich trauere ja mit den Opfern, aber …“ Und es verzerrt die Realität. Charlie Hebdo war eine Beleidigung für jedermann. Mutig ist nicht, sich an der gesellschaftlichen Pogromstimmung gegen Muslime zu beteiligen. Mutig ist es, am Tag danach die Karikatur abzudrucken, in der Gott und Jesus, mit Verlaub gesagt, es miteinander treiben. Das wäre mutig. Und das wäre auch Charlie Hebdo

Würdevolles Gedenken

Valentina Calà: "Je_suis_Charlie-25" (CC BY-SA 2.0)

Valentina Calà: „Je_suis_Charlie-25“ (CC BY-SA 2.0)

Es kommt also einer linken Publizistik die Aufgabe zu, ein würdevolles Gedenken an den Geist und das Lebenswerk von allen, die „Charlie Hebdo“ gestalteten,  zu organisieren. Die Solidarität muss nicht ohne Bedingungen sein, sie muss nicht unkritisch sein. Aber sie muss erkennbar sein und einen eigenen Schwerpunkt setzen. Klar machen, warum die Satire des Magazins über die bürgerliche Pressefreiheit hinausging. In welcher Tradition diese Form der französischen Satire steht, das man stolz drauf ist, bête et méchant zu sein.

Und natürlich muss sich dieses Gedenken stark machen gegen eine Vereinnahmung von Rassist_innen. Das schafft man vor allem dadurch, dass man eine starke und nachdrückliche Position zu dem bezieht, wofür Charlie Hebdo stand.

Hebt die Stifte.

 

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