Veranstaltungflyer "Captain Snowden"

Veranstaltungflyer „Captain Snowden“

Der Verein „Helle Panke“ – Mitglied im Stiftungsverbund der Rosa-Luxemburg-Stiftung – lud am 8. Mai 2014 in das Astra in Berlin-Friedrichshain, um mit Gregor Gysi und Hans-Christian Ströbele unter Moderation von Constanze Kurz über Snowden und Geheimdienste zu reden.

Die Veranstaltung war gut besucht, schon draußen bildete sich eine lange Schlange vor dem Einlass und bei Beginn war dann die Bestuhlung komplett ausgenutzt – zumindest im alternativen Friedrichshain, Hochburg der Netzaktivist_innen, scheint die NSA-Affäre also durchaus die Gemüter zu bewegen, auch wenn es heißt, dass „die Öffentlichkeit“ weitestgehend interesselos sich gegenüber der Ausspähung verhält.

Constanze Kurz, Vertreterin des Chaos Computer Clubs, stellte eingangs die Frage nach dem aktuellen Stand der parlamentarischen Aufarbeitung der NSA-Affäre. Hans-Christian Ströbele, MdB für die GRÜNEN und direkt gewählter Abgeordneter für einen Wahlkreis in Friedrichshain und Kreuzberg, referierte sodann über die Ausschussarbeit im NSA-Untersuchungsausschuss, beginnend mit der Neuigkeit, dass Snowden in diesem Ausschuss befragt werden solle. Wie und wann sei aber noch Verhandlungssache. Im Folgenden sprang das Gespräch zwischen lustigen Anekdoten, die sich aus der Skurrilität der geheimdienstlichen Arbeit in aller Regelmäßigkeit ergaben, zu juristischen Details (nicht unwichtig, aber dem Diskussionsgegenstand auch nicht zwangsläufig dienlich) und letztendlich zur weitestgehend unisono geäußerten Kritik, dass die Bundesregierung handlungsunfähig verbleibt.

Die Positionen, die Ströbele und Gysi äußerten, waren zwar sehr nah einander, entstanden aber aus unterschiedlichen Voraussetzungen: während Ströbele als Fachpolitiker aus dem entsprechenden Ausschuss und mit dem parlamentarischen Schwerpunkt der Geheimdienstkontrolle berichtete, trat Gregor Gysi (MdB für DIE LINKE) eher als breit aufgestellter Populist auf, dessen Redebeiträge weniger die Genauigkeit, als die rhetorische Wirkung im Auge hatten – entsprechend oft lachte das Publikum mit ihm.

Ströbele ließ immer wieder durchblicken, was er für Eindrücke aus dem persönlichen Gespräch mit dem Whistleblower Snowden mitgenommen hatte (so sei Snowden z.B. „treuer US-Bürger“, der politisch seinen russischen Gastgeber_innen eher kritisch gegenüber stände). All dies ließ die Veranstaltung von seinen Redebeiträgen aber auch als sehr personenbezogen geprägt dastehen, es ging weniger um die Inhalte, die Snowden der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hatte, sondern mehr um einen – für jede politische Beurteilung ungesunden – Personenkult um das persönliche Engagement. Wir kennen diese negativen Auswirkungen schon von Assange und Wikileaks, und wie der 30C3 gezeigt hat, verursacht dieser Personenkult auch weiterhin Furore (mit dem wichtigen Unterschied, dass Snowden und Assange jeweils selbst damit weitestgehend konträr umgehen).

Allerdings ließ dieses persönliche Moment auch eine wichtige Schlussfolgerung auf Kurz zentrale Frage über das „Best Case Scenario“ für einen „Geheimdienstumgang nach Snowden“ zu: für Ströbele war eine Konsequenz aus der NSA-Affäre, die Position von Whisteblowern zu stärken. Wie konkret das für Mitarbeiter von staatlichen Institutionen funktionieren soll, deren Geheimhaltungsvorschriften das Kernelement ihrer Tätigkeit (geheimdienstliche Arbeit) garantieren, blieb unbeantwortet. Weitestgehend abstrakt blieb auch die von beiden Parlamentariern  vorgetragene Forderung nach weiteren und umsetzbareren Kontrollrechten durch das Parlament gegenüber den Behörden. Bei Gysi bot das den Spannungsbogen auch darüber nachzudenken, ob die Geheimdienste nicht komplett abgeschafft werden sollten.

Das große Fazit des Abends jedoch war bei Gysi, dass die Bundesregierung „Duckmäusertum“ an den Tag legen würde und das sich die USA gegenüber Deutschland nicht freundschaftlich verhalten würde. Diese Argumentationsstrategie (übrigens waren die Redebeiträge Gysis weitestgehend wortwörtliche Versatzstücke der Bundestagsrede vom 18. November 2013) spitzte er dann über die ganze Veranstaltung weiter zu und versetzte sie mit dem großen Schlagwort der „Nationalen Souveränität“. Um dem recht links geprägten Publikum eventuelle Kritik aus den Segeln zu nehmen, führte er dabei an, dass es ja durchaus eine historische Grundlage für die USA und UK geben würde, kritisch die deutsche Regierung seit ’49 zu beobachten. Aber immerhin würde man ja in Afghanistan zusammen im Krieg sein und damit wären wir Freunde und Freunde späht man nicht aus. Aber das Publikum brauchte das gar nicht, frenetischer Jubel an diesem Abend erntete sein Spruch: „Niemand unter uns, … aber auch niemand über uns!

Der Abend hat eindrucksvoll gezeigt, wie die populistische Rhetorik von Gregor Gysi hier als effektive Flankierung der Querfrontstrategie dient: viele Argumentationsmuster findet man in den neurechten Verschwörungstheorien wieder. Schon das Infrage-Stellen und die Forderung der Rückkehr der „Nationalen Souveränität“ ist ein Bild, das sich in allen rechten Parteien, von CDU/CSU über AfD bis hin zur neonazistischen NPD finden lässt, mit unterschiedlichen Bezugspunkten, häufig die EU. In verschiedenen Verschwörungstheorien gibt es als Steigerung des Gedanken aufgrund verschiedener absurder rechtlicher Konstruktionen den deutschen Staat nicht mehr, sondern man würde durch USA und Israel fremdgesteuert – willkommen im strukturellen Antisemitismus. Man kann im Übrigen beobachten, dass gerade neurechte Bewegungen wie die Montagsdemonstrationen von der Thematik NSA profitieren und viele Menschen darüber mit ins Boot holen (satirisch durch Extra3 und Aluhüte aufbereitet). In den Bewegungen rechts der CDU spielt das Thema NSA durchaus eine große Rolle, anders als linke Bewegungen können sie dabei aber nicht auf die Ergebnisse kontinuierlicher parlamentarischer Arbeit(sweisen) zurückgreifen – und die CDU wird ihnen aus guten Gründen nicht zuarbeiten, sondern hält sich lieber bedeckt.

Interessant ist auch die querfrontlerische Umgebung, mit der sich Gysi – mit Rückendeckung seiner Partei – auf kritische Nachfrage zur Anschlussfähigkeit seiner Thesen zur AfD gibt: er halte ja nichts von der AfD („Rassismus und so“), und vielmehr stehe er zu Europa, er möchte nur „Völker … also ein Europa der Bevölkerung“. Die Formulierung weckt spontane Assoziationen an das „Europa der Völker“. Eine kurze Google-Suche ergibt: ein Beitrag der Website der Linkspartei „Für ein Europa der Völker und nicht der Banken“ – und ansonsten Beiträge, die direkt von der NPD unter dem Titel „Ein Europa der Völker“ oder „Ein Europa der Vaterländer“ kommen. So sieht Querfront aus, wenn sie von der Parteispitze kommt: immer gekonnt knapp am Formulierungs-GAU vorbeirutschen, aber die Assoziationen populistisch zielgerichtet ansprechen.

Gysis Ablehnung der berechtigten Einschränkung der Souveränität Deutschlands simplifiziert dabei auch unzulässig: dass deutsches Großmachtsstreben nicht kritisch überwacht werden kann, weil man gemeinsam Kriege führen würde (keinesfalls im Übrigen gleichberechtigt und freundschaftlich, wie Gysi suggeriert), ist kein zwangsläufig logischer Schluss. Oder um in der Einfachheit von Gysis Worten darauf eine Replik zu liefern: „Halte deine Freunde nahe, aber deine Feinde noch näher.“

Und so muss sich eine kritische Betrachtung dieser Argumentationsstrategie fragen:

1. Ist eine geheimdienstliche Überwachung der deutschen Regierung und der deutschen Bevölkerung durch die USA durchweg abzulehnen oder ergeben sich aus der deutschen Geschichte und dem deutschen Großmachtstreben seit 1990 Ansatzpunkte für ein (fortgesetztes) Misstrauensverhältnis, das Eingriffe in die nationale Souveränität rechtfertigen kann?

2. Wie erwehrt sich eine emanzipatorische netzpolitische Betrachtung einer antiamerikanischen Vereinnahmung durch neurechte Kräfte, die nationalistische und revanchistische Bewegungen und antisemitische Feindbilder durch die NSA-Thematik stärken wollen?

3. Wie sieht eine emanzipatorische Perspektive gegen Überwachung aus, die sich kritisch staatlicher Mittel bedient oder gar ganz auf solche verzichtet? Wie kann die linke parlamentarische Facharbeit durch außerparlamentarische Aktivität in fruchtvolle Wechselbeziehung treten.

Wie schon erwähnte, merkte man bei Ströbele, der auf etwas unverdächtigere Art und Weise das Verhalten der deutschen Regierung gegenüber den USA kritisierte und damit auch ohne Populismus an der von Gysi geforderten „Veränderung des Zeitgeist“ mitwirkte, dass er fachlich deutlich näher am Thema war und weniger als Vertreter seiner Partei auf dem Podium zu Gast war, sondern als Experte mit jahrelanger Erfahrung in der geheimdienstkritischen Arbeit. Gefehlt hat mir dabei eine Stellungnahme, ob und wie die innerparteiliche Aufarbeitung der grünen Regierungsverantwortung zum Thema NSA erfolgte. Einige Grüne dürften da zwar kein genaues Wissen, durchaus aber spannende Einblicke gehabt haben. Gleichzeitig hätte von beiden Vertretern von Parteien, die an Landesregierungen beteiligt sind, Stellungnahmen zur gestaltenden Verantwortungsübernahme gegenüber den Landesämtern für Verfassungsschutz unter dem Aspekt NSA kommen können – das hätte eine spannende Aufbereitung der Arbeit der Opposition im Bund und der lokalen Gestaltung in den Ländern sein können.  Leider versäumte man es aber auch so, eine gesamtgesellschaftliche Perspektive aufzumachen und sich kritisch dem Thema Geheimdienste genauer zu nähern.

Das blieb den Abend über das große Manko: zu viel Snowden-Heldentum, zu wenig Geheimdienst-Kritik. Und die bittere Erkenntnis in der Betrachtung des Publikums, dass die Veränderung des Zeitgeistes sich über die letzten Monate in den europäischen Rechtsruck einbinden lassen hatte und auch links geprägter Nationalismus wieder hoch im Kurs steht.

Nachtrag: Das ging schnell, die RLS hat die Veranstaltung als Videoaufzeichnung zur Verfügung gestellt.

 

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