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Aus aktuellem Anlass mache ich hier mal eine neue Mini-Reihe auf: “Sprachlos” beschäftigt sich mit dem Umgang mit Sprache, der historischen Relevanz von Ausdrücken und dem Gedankengut, was sich dahinter verbirgt. Mir selbst sind viele Umstände von Wortgeflechten und –kreationen, die ich im alltäglichen, aber auch im politischen Sprachgebrauch mir angeeignet habe, gar nicht bewusst. Die Reihe soll dabei helfen, sich dieser Wortproblematiken bewusst zu werden und sie sich ggf. abzugewöhnen.

Gutmensch

Anfangen möchte ich die Reihe mit dem Wort “Gutmensch”. Bei mir hinterlässt das Wort schon etwas länger einen fahlen Beigeschmack, obwohl ich es immer gelegentlich verwendet habe, meistens um Menschen zu kritisieren, die sich der Konsumkritik (also der Veränderung von gesellschaftlichen Zuständen durch ein bewusstes Konsumverhalten) verschrieben haben. Sicherlich auch in anderen Kontexten. Trotzdem wurde mir dieses Wort in der letzten Zeit immer weniger geheuer, wurde es doch auch von irgendwelchen scheinlibertären FDP-Fatzken auf Seminaren verwendet, um Sozialpolitik etc. zu kritisieren. Auch geistert das Wort seit jeher durch Naziforen und taucht als Begriff in rechtsoffenen Kommentaren auf. Und wo es noch auftaucht: in ganz vielen linken und linksradikalen Diskussionen, meistens von den Vertretern von autoritären Systemen benutzt, um Kritik am Stalinismus oder anderen realsozialistischen Ausformungen abzubügeln.

Dabei sollte man das Wort einfach nicht mehr benutzen. Dazu möchte ich in dem Artikel einfach mal ein paar Zitate anführen, die die Problematik ganz gut wiedergeben. Da wäre zuerst einmal der “ZEIT Wörterbericht”:

Dass der »Gutmensch«, aus der politischen Rhetorik stammend, sich in der Alltagssprache niedergelassen hat, kann als Triumph antihumanistischen Denkens gelten. Die Häme über den guten Menschen beginnt bei Nietzsche, der Neologismus stammt aus dem Stürmer, Kampfbegriff ist er für die Neue Rechte, und salonfähig wurde er durch die 68er-Kritik im Stil von Klaus Bittermanns Wörterbuch des Gutmenschen. Die Verachtung, die das Wort ausdrückt, und die Geläufigkeit, mit der es verwendet wird, legen den Verdacht nahe: Als gut gilt jetzt ungut.

Die Nietzsche-Urheberschaft ist wohl umstritten, der Gedanke aber spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts vom Naziregime zementiert. Jürgen Hoppe erläutert das in einem Memorandum des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) [pdf] so:

Erstmals findet sich das Wort als Bezeichnung für die Anhänger von Kardinal Graf Galen, der gegen die Vernichtung lebensunwerten Lebens , also die Tötung körperlich und geistig Behinderter durch die Nationalsozialisten (schließlich mit Erfolg) gekämpft haben.

Nicht klar ist, ob der Begriff von Josef Göbbels oder Redakteuren des Stürmer 1941 ersonnen worden ist. Gutmensch geht auf das jiddische a gutt Mensch zurück, womit von den Nationalsozialisten auch ein Bezug zu den lebensunwerten Juden hergestellt werden sollte.

Adolf Hitler hat in seinen Reden und in Mein Kampf ebenfalls die Vorsilbe gut als abwertend verwendet. So sind für ihn gutmeinende und gutmütige Menschen diejenigen, die den Feinden des deutschen Volkes in die Hände spielen.

Freilich hat sich der Begriff längst dieses Umkreises enthoben und hat spätestens in den 90ern Einzug in den politischen Alltag gehalten. Diese Entwicklung ist jedoch keineswegs zu begrüßen, der politische Kampfbegriff, den “Gutmensch” darstellt, zielt auf eine Degradierung des Gegenübers, nicht des Arguments, ab – er wird also (naiv) moralisierend oder aber nur vorgeblich moralisierend dargestellt.

Festzuhalten bleibt, dass der Begriff “Gutmensch” für einen emanzipatorischen Sprachgebrauch aufgrund seiner problematischen Genese und seines persönlichen und nicht argumentativen Charakters nur selten und reflektiert in Frage kommen sollte.

Zur Vertiefung dazu aus österreichischer Sicht: Katrin Auer: “Political Correctness” – Ideologischer Code, Feindbild und Stigmawort der Rechten [pdf]