Der Raum war nur halb voll, und das Gemurmel überstimmt die einleitenden Takte der Musik. In einer typischen Beschreibung würde jetzt hier stehen, dass alle still wurden und gespannt lauschten. Dem war aber nicht so. Alle redeten weiter, das Gemurmel korrespondierte aber in eigentümlicher Weise mit der Musik, die sich durch die Wortfetzen schlängelte und in jedem Gespräch ihren Aktzent setzte.

Der Blackcat Club im Gebiet der U-Street in Washington D.C. ist sowas wie der Club der aufstrebenden Bands, der großen Geheimtipps und der alteingessenen Punk und Indieelite. Ich habe mich in den Berliner Magnet Club von 2007 versetzt gefühlt, als die Location noch im Osten der Stadt angesiedelt war und ich nach meinem Umzug in die Stadt quasi jeden Abend da reingefallen bin, einfach weil ich es konnte. Der Besuch des Konzerts hat viel von dieser Zeit hochgebracht. Bands, die ich nicht kannte und einfach mal wegen dem günstigen Eintritt von $12 mitgenommen habe. Der treibende Indiefolk, der sich mir dann erschlossen hat, der halb gefüllte, niedrige Konzertraum, alles hat sich mit den Erinnerungen an die Zeit vor fünf Jahren vermischt.

Spätestens 2008 war es dann, als ich nicht mehr allein, bei Rooney stand und einfach nur in der Musik und dem Mädchen an meiner Seite versunken bin. Auch das blitzte einen Moment bei mir auf, als ich da stand und die Musik mich umwarf. Vandaveer war die zweite Band, an einem Abend der eigentlich dem Record Release von Astra Via gewidmet war. Doch das Duo hatte eindeutig mehr zu bieten als die beiden, man muss es so sagen, begleitenden Acts. Die Leute vor der Bühne, in ihren Gesprächen, nahmen sich immer wieder die Zeit, die Augen zu schließen und sich zu gleiten, leicht zu schwanken und sich von der Musik umspielen zu lassen. Auf der Bühne stand ein Künstlerpaar, das das Klischee ohne Problem bediente und dennoch authentisch wirkte: Mark Charles Heidinger und Rose Guerin, der eine in roten Hemd, verwaschener Jeans, Musikerweste und einem Indie-Lockenkopf vom Feinsten. Ein durch und durch schöner und charismatischer Musiker, der mit Stimme, Stil und Sexappael begeisterte. Die Kontradiktion, im absolut positiven Sinne dann Rose, die an die großen Sängerinnen der Nachkriegszeit erinnerte, und eine Stimme, die nur einen Funken rauchiger Melodie benötigte, um so individuell zu klingen, dass ich selbst Stunden später noch in Gedanken daran eine Gänsehaut bekommen habe. Ihre Erscheinung auf der Bühne war eine Präsenz, die im Hintergrund von Mark stand, aber diesen Hintergrund aufbaute und zu einem Firmament über den Lead-Parts des Sängers werden ließ.

Diese Konzert war eine meiner schönsten Erfahrungen, wenn auch nur für knapp eine Stunde, in meinem Aufenthalt in D.C. – selten hab ich mich hier mehr Willkommen und gleichzeitig Zuhause gefühlt. Selten habe ich mich auch amerikanischer gefühlt – die Lieder handelten von regionalen Geschichten, Weisheiten, Lieben, Toden … und die Gitarre und Tonalität erzeugte in mir eine starke Identifikation mit diesen Geschichten, und ich konnte sie mit den Menschen und Begebenheiten in meinem Umfeld hier verbinden. Das war sie also, die Korrespondenz meiner eigenen Vergangenheit von vor fünf Jahren und meiner Gegenwart, die eine neue Perspektive erlangt. Keine bahnbrechende, aber eine schön, ein kleiner Funken.

 

Auf dem Facebook-Profil der Mamsell habe ich irgendwann mal einen Song gefunden, der mir interessant schien, aber mit dem ich zu dem Zeitpunkt nicht viel anfangen konnte. Also ab damit in die Bookmark-Liste und jetzt habe ich „Smile For Me, Sun“ von Adam & Alma wieder ausgegraben.

Irgendwie habe ich mich sehr reingehört und wollte natürlich mehr davon. Eine kurze Google-Suche später: die EP „Back To The Sea“ (der Titel verspricht meinen persönlichen Referenzen schon mal sehr viel) gibt es kostenlos von einem kleinen Netlabel! 23 Seconds heißt das und man kann auf der Seiten einfach die einzelnen Songs runterladen oder halt die ganze EP gepackt.

Tracklist:
1. Things
2. Smile For Me, Sun
3. Naked
4. Back To The Sea
5. Bon

„Things“ bietet einen schönen Choruseinstieg in das Hörerlebnis – „Take my hand / It’s just thinking of you / Take my heart / It feels for you“ hauchen einem die dazugehörigen Lyrics entgegen. Die ausgestreckte Hand nimmt man gerne an und begibt sich auf eine Reise in die Klangwelt von Adam & Alma. Höhepunkt ist das darauffolgende „Smile For Me, Sun“. Aufgewärmt durch den Opener wird in dem Track erstmal ein Stimmen der (elektronischen) Instrumente simuliert, was eine positive Erwartungshaltung erzeugt, im Stile von „Jetzt gehts los“. Der Track selbst zeichnet sich durch warme Beats aus, die die Musik tanzbar erscheinen lassen, während Gesang und Melodie eine Contra-Position bilden und eine Ruhe vermitteln, die in den Sessel zurücksinken lässt. Effekt ist: man sitzt eingelullt im Sessel, während das Bein ständig mitzuckt. Während die ersten beiden Tracks sehr typisch rüberkommen und sich auf Pianoindie mit elektronischen Einwürfen konzentrieren, wirkt „Naked“ sehr atmosphärisch und erinnert an eine Düsternheit, die z.B. Chiasm oder den „Hanna“-Soundtrack von den Chemical Brothers (insbes. „Container Park“) kennzeichnet. „Back To The Sea“ ist ein typisches Pianostück, dass über seine langsamen Anschläge die Lyrcis durch die Weite der Träumerei transportiert – um dann ein elektronisches Klanggewand zu zaubern, dass einen umhüllt und kaum wieder zurück in die reale Welt entlässt. Der Abschluss der EP, „Bon“, ist im Vergleich zu den restlichen Songs leider nur ein schwacher Abglanz. Etwas Klangglitter wird einem entgegengepustet, mehr passiert nicht, es bleibt das Gefühl von glitzernder Zahnfüllmasse, damit die Scheibe nicht so leer wirkt. Schade eigentlich. Der, zumal kostenlose, Download lohnt sich trotzdem, gerade für „Smile For Me, Sun“.

 

Oha, neue Indiemusik. Der Beitrag dazu wird nicht lang, die erinnern mich an eine Mischung aus Polarkreis 18 und I Might Be Wrong. Ziemlich cool, absolute Empfehlung.

 

We Invented Paris – Silence Live Session

Man findet We Invented Paris auf ihrer Homepage mit ein paar Songs und auf Bandcamp. Ihr Album kommt am 4.11. raus – ich freu mich drauf!

 

We Invented Paris – Overture
 

Mein Mitbewohner hat mich auf den Song des Jahres 2011 gebracht. Vergesst Justin Biber und Miley Cirus, richtige Hipster hören jetzt Rebecca Black.

Die Sorgen der Oberschicht-Jugend Amerikas stellt sie in ihrem beängstigenden neuen Video zum Song “Friday” dar.

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Wenn was geht, dann Gangster-Mario. Besonders schön und stilvoll: Toad!

 

[via Amy&Pink]

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Montag, Semesterferien. Kann man ja feiern gehen. Auf Facebook kam eine Veranstaltungseinladung, auf der Spreeterrasse von der Maria sei OpenAir. Ein bisschen kühl ist es ja schon noch, aber nun gut, die Sonne scheint und man hat ja im Bedarfsfall dicke Pullis bei. In der Veranstaltungseinladung (vom Partyveranstalteraccount “Goldenes Zeitalter” gepostet) war von freiem Eintritt die Rede.

EINTRITT FREI! bis 20 Uhr

DJ Euro

danach nen 5er

Geburtstagskinder haben natürlich wieder freien Eintritt!

 

Und nun kommt man da an, die Melange aus Hipstern, Yuppie-Studenten und Schulkindern kennt man ja schon. Kann man drüber abkotzen, aber man lässt es lieber, weil sonst bekommt man ja nie mehr gute Laune. Wir also auf den Eingang zu, steht da Einlasspersonal und eine dicke Schlange. Nehmen die also doch Geld. Hatte keiner von uns Bock drauf, draußen hörte man keine Musik mehr, also haben wir uns musiklos zwischen die Horden gesetzt und ein bisschen gechillt. Aber angefressen hat mich das schon. Da steht ganz klar “Eintritt” frei. WTF? Dann will ich da auch einfach reingehen können. Und jetzt sagte mir auch noch eine Bekannte, dass um 18 Uhr schon 5€ gekostet hat. Wer weiß, vielleicht auch schon um 16 Uhr, als wir angekommen sind, wir haben ja gar nicht nachgefragt. Aber auf jeden Fall nix mit freier Eintritt bis 20 Uhr. Echt zum kotzen.

Und was dahintersteht? Hier wird mit dem “kostenlos-und-billig-Party-machen-Image” von Berlin gespielt und das echt schamlos bis zur Lüge ausgenutzt. Das Image stimmt ja eh kaum noch, aber das so zu bewerben ist doch echt dreist. Aus allem und alles Geld rauszuschlagen, einfach mit den Massen zu rechnen und hoffen, dass die trotzdem Geld abdrücken, auch wenn die sich auf eine kostenlose Party gefreut haben. Wer kein Geld hat und sich genau deswegen dahin aufn Weg gemacht hat, wird rausselektiert. Wenn das euer Frühlingserwachen ist, dann scheiß ich drauf, haut ab, zurück in den Winter.

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Zu den Entdeckungen des Tages gehört für mich heute das Album “Everything Could Be Fine” von Sun Glitters. Sehr schöne, atmosphärische Musik, die einen gerade bei diesem Regenwetter zu umschließen scheint und in jede Ecke der 3,60m hohen Decken steigt. Ein bisschen erinnern mich die Vocals an Crystal Castles, was sicherlich bei dauerhaftem angestrengtem Hinhören auch mal etwas auf die Nerven gehen kann, aber für mich total in Ordnung war, schon allein, weil ich Crystal Castles liebe. 😉

Ansonsten gefallen mir besonders die immer wieder auftauchenden Breaks im Ambient-Klanggewebe, die der Musik etwas entrücktes, surreales geben. Anspieltipps habe ich gar nicht so richtig, ist meiner Meinung nach eher ein Gesamtwerk, das man sich auch so zu Gemüte führen sollte.

Sun Glitters – Everything Could Be Fine [Stream | Kauf-Download]

Wer übrigens nicht gerade Regengeräusche hat, kann sich die im Browser dazuschalten.

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Ich bin ja die Tage etwas verschnieft, das Wetter und das viele Rumhopsen am Berliner Stadtrand haben mir anscheinend nicht gut getan. Perfekter Zeitpunkt, um mal wieder etwas sinnloser und außerhalb vom Google Reader durchs Netz zu surfen – und ick hab was feines gefunden: die “24 Hours of Hardcore”, ein Zusammenstellung von Steve Blush, der das Buch “American Hardcore” geschrieben hat. Ein Haufen geiler Hardcore-Punk-Songs der Jahre ‘78 – ‘86 kostenlos zum Anhören, mitgröhlen und genießen.

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Wo ich gerade schonmal im Audiolith-Modus bin, hier ein kurzer Konzerthinweis für die Berliner:

16.03.2011 – Egotronic im LaCasa (Berlin-Hellersdorf)

Die feiern nämlich ein Doppelgeburtstag: einerseits wird das LaCasa 10 Jahre alt, und Egotronic starten ihre 10-Jahre-Bandgeschichte-Tour dort. 20 gesammelte Jahre also. Ach ja, und kurzer Hinweis: lieber pünktlich kommen, das Casa ist klein und der Andrang erfahrungsgemäß groß, zumal es sich finanziell sehr günstig gestalten wird. Los geht’s ab 20 Uhr.

Mich wird man übrigens irgendwo am Eingang, an der Bar oder in der Menge finden. Einfach die Augen offenhalten 😉

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Eines der wunderschönsten und emotional mitreißendsten Lieder der letzten Monate für mich hat jetzt ein offizielles Video spendiert bekommen. Reinschauen, mitträumen und auf Katze hoffen.

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Mir geht ja gerade tierisch auf die Nerven, dass alle möglichen Blogs dieses Exquiste Werbevideo posten und sich darüber freuen, dass das alles ja sooo verboten und rebellisch ist.

Auf electru hab ich diesen Kommentar gepostet:

Exquiste-Partys sind sehr vorsichtig zu genießen. Das Konzept war am Anfang sehr cool und hat Spaß gemacht, die Berliner Szene auch etwas weiter gebracht. Dann ging es aber bergab, die Leute waren die ersten, die in Berlin auf illegalen Veranstaltungen Eintritt genommen haben (meistens 3€) – nicht nur auf den RTS-Partys, sondern auch auf ihren sonstigen Veranstaltungen (und nicht alle liefen unter dem Exquisite-Label). Sie waren quasi die ersten, die zu einer Entwicklung der Szene hin zu so unsäglichlichen Veranstaltungen wie dem Friedrichshain Liebt Dich und der Eisfabrik geführt haben.

Ich finde die Geisteshaltung, für Raves im öffentlichen Raum Eintritt zu nehmen, ablehnenswert und damit auch den Veranstalter.

Das ist mal wieder so ein Fall, wo sich manche Sachen total unreflektiert weiterverbreiten. Einen ähnlichen Fall gibt’s jetzt meines Wissens nach bei den Renate Open Airs: 5€ Eintritt und Selektion. Wo man bei der Selektion noch sagen kann: “Dat rettet die Szene” (wobei ich solche Ansätze sehr bezweifle, höchstens Altersgrenzen angebracht finde) ist Eintritt einfach mal: soziale Selektion. Und die ist per se scheiße. Ich weiß nicht, ob sie die Renate-Leute damit ein dauerhaftes Gelände finanzieren oder einfach nur nicht so viele Leute drin haben wollen. Aber widerspricht trotzdem meinem Empfinden.

Naja, für alle Blogger zum mitschreiben aber nochmal der erste Teil zusammengefasst: Exquiste-Team: nicht gut.

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(Quelle: Twitpic-Upload)

Die Ereignisse gestern Nachmittag haben überall die Gesprächsthemen bestimmt. Twitter. Facebook. CNN. Spiegel Online. Die Kneipe.

Die Polizei hat inzwischen die Zahl der Toten auf  19 beziffert. Um weitere Leben wird anscheinend noch gerungen.

Eine Bundespolizistin sagt SPIEGEL ONLINE am Samstagabend, nach den Stürzen sei in dem Tunnel eine heftige Panik ausgebrochen. Die Raver seien schon vorher hoch aggressiv gewesen und hätten sich untereinander Schlägereien geliefert. „Als dann noch Menschen die Treppe herunterfielen und teilweise andere mitrissen, war nur noch Chaos.“

Angst, Entsetzen, rücksichtsloses Rennen, Schubsen, Drängeln. „Die waren nicht mehr zu bändigen“, so die Beamtin. Rettungskräfte und Polizisten hätten lange gebraucht, um sich überhaupt zur Unglücksstelle durchzukämpfen. „Es war die Hölle.“

Langsam kommen so die ersten Blogartikel online, die die Fragen stellen, zu denen sich WDR und Spiegel Online und alle anderen Medien noch nicht hinreißen können, lieber stellt die BILD Fotos der Leichen online – en Masse. Die Ruhrbarone haben ihren Beitrag schon recht früh und doch sehr ausführlich online gestellt.

Am Freitag habe ich gefragt, wie viele Menschen auf den Platz passen. Der Sprecher der Stadt wollte es nicht sagen. Er meinte, das sei geheim. Er wolle und dürfe das nicht sagen. Ich habe in der Verordnung nachgesehen, die regelt, wie viele Menschen bei öffentlichen Veranstaltungen auf Plätzen zugelassen sind. Daraus ergab sich, dass auf den Platz maximal 500.000 Menschen durften. Zwei Menschen je Quadratmeter. Heute heißt es, 800.000 seien drauf gewesen. Fast doppelt so viele wie erlaubt.

Der gesamte Beitrag stellt die Fragen, wer eigentlich verantwortlich für dieses Desaster ist. Die angebotene Lösung: die Behörden der Stadt. Vielleicht etwas zu einfach gefasst, aber mit guten Argumenten für eine Teilschuld. Zur Zeit werden die Verantwortlichkeiten hin und her geschoben. Die Stadt sagt: der Veranstalter. Der Veranstalter sagt: wir nicht, auf dem Gelände war ja alles in Ordnung, fragt doch mal die Stadt. Die Leute vom Notfallplan sagen: danach hat alles funktioniert, wir waren schnell und tun unser möglichstes. Der “Katastrophenexperte” hat zwar mit einer Bombe das Szenario durchgespielt, aber die Idee der Massenpanik lag ihm irgendwie fern.

Auch der Panikforscher Michael Schreckenberg verteidigte das Sicherheitskonzept, an dem er selbst beteiligt war. Der Tunnel sei groß genug ausgelegt gewesen, sagte er im WDR. Seinen Aussagen zufolge wurden vor der Veranstaltung viele mögliche Notfälle durchgespielt. „Es gibt aber immer Menschen, die sich nicht an die Spielregeln halten“, fügte er hinzu.

Dass die Menschen sich nicht an die Spielregeln war abzusehen und es wäre seine Aufgabe gewesen, auch dieses Szenario durchzuspielen. Und dann, dann ist da noch die Polizei. Ich habe kurz nach den ersten Twitternachrichten so um 17.15-17.30 WDR im Fernsehen angemacht, die live berichtet haben. Ein Augenzeuge berichtete da von der Polizei, die er, als die Panik schon im Gange war, informiert hatte und um Hilfe gebeten hatte. Sie haben abgelehnt mit den Worten “Willst du das hier organisieren, oder was?” – das spricht für menschliche und fachliche Inkompetenz. Und schlimmstenfalls kriminelle Ignoranz. Nochmal die Ruhrbarone:

Diese Polizei hatte schon bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist kritische Großveranstaltungen zu meistern. Diese Polizei hat eine Mitverantwortung für das Desaster bei der Love-Parade. Sie hätte wissen müssen, dass sie das Monster nicht beherrschen kann. Sie hätte die Parade absagen müssen – aus Sicherheitsgründen.

Konkret fragt man sich, warum das Tunnelareal nicht durch mehr Beamte gesichert war, warum keine Einsatzfahrzeuge vor Ort waren, die den Strom etwas brechen konnten.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=-2onoJLq2-8]
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=v1MdzlWmVeI]

Auf Twitter wird die Frage nach dem zeitlichen Zusammenhang der Videos gestellt. Wie man auf die Idee kommen kann, die Tunnel am Ausgang mit einer Reihe Beamten abzusperren ist mir nicht ganz klar. Tausende, z.T. alkoholisiere, verdrogte Menschen in einem dunklen Tunnel einzupferchen erscheint mir als verdammt dumme, tödliche Idee. Dr. Motte auf seinem Blog:

das gelände abzusperren war ein fehler. die loveparade war immer offen für alle in berlin, mit rückzugsmöglichkeiten in den tiergarten… wir hatten immer sani’s ohne ende wasser. ein einziger zugang durch einen tunnel birgt die katastrophe in sich. ich bin sehr traurig…

Sara hat einen intensiven Text geschrieben, wie das Gefühl da unten gewesen sein könnte. Ich bekomme immer wieder einen Kloß im Hals, wenn ich drüberlese. Eine ganz wichtige Stelle, die mich die halbe Nacht nicht losgelassen hat und warum ich jetzt auch schon wach bin:

das hättest du sein können, auf dem letzten Rave — Raves, die völlig unorganisiert und unkontrolliert sind. Das hätte die brennende Eisfabrik sein können. Wir sind so verantwortungslos in allem, und dann traf es diejenigen, die der Verantwortung und der Gewissenhaftigkeit vertrauten–

Die Eisfabrik. Das Friedrichshain liebt dich. Ich denke an die ganzen Leute, die mir erzählen wollte, was für eine Pussy ich bin, weil ich Sanitäter auf dem Gelände vor zwei Wochen gefordert habe und Security. Es gibt unterschiedliche Raves. Es gibt die kleinen, wo einige Leute auf E oder LSD rumhüpfen, vielleicht noch auf Speed. Weniger Alkohol, höhere Bildungsschicht, Hedonismus als Lebenseinstellung. Da ist wenig Konfliktpotential, da ist vor allem feiern. Hier reichen wenige Vorkehrungen um ein entspanntes Miteinander zelebrieren zu können.

Und dann sind da die großen Raves, die Massenraves. Die Loveparade war schon lange so ein Massenrave, schon in Berlin. Auch das “Friedrichshain Liebt Dich” war ein (relativer) Massenrave. Diese Art von Rave zeichnet sich aus durch das kommerzielle Interesse der Betreiber – wo (in welcher Form auch immer, auch langfristig) Gewinn gemacht wird, wird auch gespart um den Gewinn zu maximieren. Und er zeichnet sich aus durch die Besucher, die sich in ihrer Zusammensetzung ändern. Da sind andere Ansprüche. Speed, Koks, aufputschende, aggressiv machende Drogen. Viel Alkohol, viel zu viel. Menschen mit sozialen Problemen, mit sozialem Frust. Für die Berliner: der Unterschied zwischen dem Jeton und der Renate. Für alle anderen: der Unterschied zwischen der BILD und der taz. Konfliktpotential: hoch. Das Fatale am Phänomen Massenrave: mit zunehmender Kommerzialisierung, mit zunehmenden Massen sinkt das Verantwortungsgefühl der Betreiber zugunsten der Profitrate. Und das Verantwortungsgefühl der Einzelnen in der Masse sinkt eh proportional zu ihrer Größe.

Die Leute aus der Gegend sagen: man hat das schon in Dortmund gesehen, da ist es nur um Haaresbreite nicht schief gegangen. Und Bochum: die hatten den Mut, das Ganze abzusagen. Einfach, weil die Sicherheit nicht gewährleistet werden konnte. Die Loveparade war schon in Berlin tot. Aber im Ruhrpott hat sie jetzt Tote gefordert.

UPDATE:

Ergebnisse der Pressekonferenz

  • Größe des betretbaren Bereiches: 240.000 qm
  • Bestätigte Menge: 105.000 Menschen (was nie im Leben stimmen kann und wohl nur Verschleierungstatktik ist)
  • Tunnellänge war 120m mit Unterbrechungen
  • Staatsanwaltschaft hat Ermittelungen aufgenommen, Durchsuchungen im Duisburger Rathaus
  • Kein Kommentar zu Warnungen vor der Veranstaltung
  • Die Polizei weißt alle Schuld von sich, will aber entgegenstehende Fakten nicht kommentieren
  • Gerüchte über Schusswaffengebrauch & Androhung des Schusswaffengebrauchs werden dementiert
  • allgemein werden viele Faktenäußerungen abgelehnt mit dem Bezug auf laufende Ermittelungen
  • Bochum kritisiert Duisburg, Polizeipräsident in Bochum hat anscheinend Strafanzeige gestellt – außerdem ein Feuerwehrmann, der vor dieser Stelle gewarnt hat
  • WDR-Moderator kommentiert mit „hilfloser, so noch nie erlebter“ Pressekonferenz, Verantwortungslosigkeit auf Seiten der Sicherheitskräfte
  • Die Loveparade wird nicht mehr stattfinden (Entscheidung des Veranstalters)

Auch Spiegel Online hat erste Auswertungen online. Besonders gruselig: selbst die (sehr rechte) Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) teilt meine Einschätzung, dass hier materielle Interessen hineingespielt haben. Genauso Dr. Motte in einem B.Z. Interview. Und dann kommt im Artikel der Hammer.

Das endgültige Sicherheitskonzept hat der Duisburger Panikforscher Michael Schreckenberg mitverantwortet. Er verteidigte im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE die Planung. Der Tunnel, in dem es zur Massenpanik gekommen war, sei groß genug ausgelegt gewesen, sagte der Professor für Physik von Transport und Verkehr, der mit seinem Kollegen Kai Nagel als einer der Pioniere der Stauforschung gilt. Mit stürzenden Menschen hätten die Organisatoren nicht rechnen können: „Das ist das Werk von Einzelnen.“ So etwas könne man nicht vorhersehen. „Das ist ein tragisches Unglück, dagegen kann man sich bei einer Masse nicht wappnen.“

WTF? Stürzende Menschen seien nicht eingerechnet gewesen? Mal sehen, ob man diesen Menschen strafrechtlich für seine Planung belangen kann. Ansonsten stützen auch viele Sicherheitskreise die Analyse der oben erwähnten Ruhrbarone, dass die Behörden der Stadt um des Prestiges willen die Veranstaltung genehmigt haben und dabei äußert schlampig vorgegangen seien und die Veranstaltung quasi durchgeboxt haben. Die Polizei hat übrigens nur mit 500.000 Besuchern gerechnet.

UPDATE #2:

Die taz ausführlich zu den Warnungen, die schon Wochen und Tage im Vorfeld liefen.

Und außerdem sind neue Videos auf YouTube zu finden, die die Situation an den Treppen von denen die Leute gefallen sein sollen darstellt. YouTube sperrt die Videos gerade sehr schnell, also wenn sie nicht mehr gehen ist es nicht meine Schuld. Auf jeden Fall wiederlegt es augenscheinlich die Version der Polizei, dass es gar keine richtige Massenpanik war (wurde m.W.n. auf der Pressekonferenz behauptet). Ich finde gerade im zweiten sieht man sehr gut, wie extrem die Situation gewesen sein muss.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=SqAyXEY5IwI]

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=aBRMC8prlGo]

Außerdem habe ich oben noch das eine Video ersetzt, weil es von dem User gelöscht wurde.

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