Der Verrat
Kapitel I
Der Nebel lag dick und schwer auf meinen Schultern und drückte mich fast zu Boden, als ich den dörflichen Hafen betrat. Ich meinte für einen Moment, ich müsste in ihm ertrinken, als er um mich zusammenwallte und fürchtete, meine ganze Existenz würde in der schwarzen Nacht für immer verloren gehen. Die wenigen Gaslampen warfen ein flackerndes Licht auf das Kopfsteinpflaster und schufen so einige wenige verlorene Zufluchten der menschlichen Gestaltungskraft. Ihr gebrochener Schein sollte mir einen Weg weisen, doch nirgends ein Hinweis, wohin er führen würde. Unentschlossen stand ich mitten auf dem Hafenvorplatz, die Kais noch nicht im Blick, wie auch, konnte ich doch kaum einige Zentimeter weit sehen. Schon der Gedanke daran, hier nach meinem Freund auszurufen, verbannte mich in die Untätigkeit, kreiste meine Vorstellung doch darum, wie meine Worte den dicken Nebelschwaden als feister Nachtschmaus dienen würden und ihre klägliche Existenz ein jähes Ende fände. Mein Freund, ein alter Schulkamerad, mit dem ich für sechs Jahre die Bank drückte und drücken musste, so sehr wir es auch beide ablehnte und alles damit verbundene hassten, außer uns selbst selbstredend, uns nämlich liebten wir, dieser Freund also wollte mich hier empfangen und zu meiner Überfahrt bringen. Der Überseekoffer in meiner Hand wog schwer, obwohl er meine Habseligkeiten doch auf einige wenige Leichte beschränken sollte, um eine Reise ohne Hindernisse und Belastungen darzustellen. Aber gerade diese Aufgabe erzeugte ein schier untragbares Gewicht, weniger befreit, wie es die jungen deutschen Dichter allerorts noch vor einem Jahrzehnt schrieben, vielmehr umklammerte mich dieser Koffer – ein schäbiger WICO aus zweiter, wohl fettiger Hand – mit all seinen Riemen und ließ jeden Schritt zur behäbigen Herausforderung werden. Ich wandte mich um, und sah einen Gartenzaun im maritimen Grün, schon einige Jahre nicht gestrichen – womit auch, das Material ist knapp in diesen Zeiten und den Leuten geht es schlecht – und ein kleines Schild ragte aus dem trüben Grau auf, darauf stand in abgeblätterter Zaunfarbe „Keils Gasthof“. Und nun, wo ich es las, hörte ich neben den üblichen Geräuschen einer Nacht im jungen Jahr auch leises Stimmengemurmel aus Richtung des Gasthofes wahr, zwei Männer, die anscheinend zulange, es waren ja die frühen Morgenstunden, die Gläser mit billigem Fusel gefüllt hatten, und deren Gespräch sich im breiten Platt nur stockend hin- und her bewegte. Zwischendrin dann einmal der Ausruf: „Lewer dood as Slaav!“ Ich wich vom Zaun zurück, an dem Punkt hatte ich genug gehört. Die Rhetorik der beiden Trunkenbolde schien mir ein Zeichen zu sein, dass es nicht die Art von Rüganern war, deren Hilfe ich in Anspruch nehme konnte oder überhaupt auch nicht wollte.
Wir sind umgeben von Machtverhältnissen, die uns in Beziehung zueinander setzen und unsere Positionen in der Gesellschaft definieren: werden wir als Männer oder Frauen wahrgenommen, als heteronormativ oder mit anderen sexuellen und amourösen Präferenzen, als weiße Deutsche oder als person of color. Oft erkennen wir das, versuchen uns gegen diese Machtverhältnisse zu positionieren und haben individuelle Re-Positionierungen, um innerhalb einer Welt, die uns oft zum Verzweifeln bringt, unseren Platz zu finden.
Dabei sind wir enorm abhängig davon, was dieses „Ich“ in der Gesellschaft, und die Gesellschaft an sich überhaupt bedeutet. Einige Vertreter der Kritischen Theorie haben ein mal mehr, mal weniger entmutigendes Bild darüber gezeichnet, wo das Individuum in einer Gesellschaft scheinbar ohne immanente Widersprüche steht und welche Handlungsmöglichkeiten für die einzelnen oder organisierten Menschen bestehen, den Weg in eine befreite Gesellschaft zu bereiten.
Bei vielen Menschen ist es bereits eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen. – Adorno, Minima Moralia, S. 55
Der Literaturkreis soll über ein Jahr sich mit den wichtigsten Werken der Kritischen Theorie in Bezug auf das Thema „Individuum und Gesellschaft“ beschäftigen. Der Literaturkreis soll offen gestaltet werden. Menschen, die sich schon mit den Themen beschäftigt haben mögen ihr Wissen an Einsteiger_innen vermitteln und sich an der kritisch-reflexiven Diskussion bereichern.
Wenn ihr Lust habt, euch zusammen mit anderen Menschen und in lebhaften Diskussion mit der Literatur zu beschäftigen, schreibt mir doch eine Mail an meetinmontauk – ## ät ## – die-genossen.de – dann bekommt ihr eine Einladung mit verbindlichem Ort zur Einführungsveranstaltung. Kosten fallen keine an, Literatur sollte es an den entsprechenden Bibliotheken geben.
Das ist kein Universitätskurs. Man bekommt hier keine Creditpoints. Das ist der Versuch einer unabhängigen Organisierung von interessierten Einzelpersonen.
Einführungsveranstaltung:
Datum: 14. Februar 2014
Zeit: 17:00 Uhr
Ort: Berlin-Friedrichshain (tba)
Jeah, da hat sich jemand die Mühe gemacht und die ganzen Werke von H.P. Lovecraft, die es im Gutenberg-Projekt gibt, ins EPUB-Format zu bringen, quasi das Standardformat für eReader wie die Sony PRS-Reihe oder den Kindle von Amazon.
Was genau das Buch beinhaltet?
The Complete Works of H.P. Lovecraft contains all the original stories which Lovecraft wrote as an adult. It begins in 1917 with “The Tomb” and ends in 1935 with his last original work “The Haunter of the Dark.” The book is ordered chronologically by the date the story was written. Because Lovecraft was a terrible businessman and left no heirs to his intellectual property, all of his works are already in the public domain. I did not include collaborations or revisions because some of those works may still be under the co-author’s copyright.
Wer sich da noch nicht reingelesen hat: einer der intensivsten Horror- und Schauergeschichtenautoren, die ich bisher kennengelernt habe. Auf dem Setting, dass seine Storys entworfen haben, basieren heute RPGs, Filme und PC-Spiele. Reinlesen lohnt sich also.
[via LoadBlog]