Die Frage um den Umgang mit Geflüchteten ist das entscheidende Thema der kommenden Jahre. In einer Zeit, in der per Notverordnungen der grundrechtliche Asylschutz auf ein Minimum reduziert, tödliche Krisenregionen zu „sicheren Herkunftsländern“ umgelabelt und das erste Mal seit über einem Jahrzehnt die Grenzen fest geschlossen werden, zeigt sich auch, dass es einen politisch weitestgehend unwidersprochenen Durchmarsch der deutschen Exklusionsleitkultur gibt. Sozialdemokraten taufen Transitzonen zu Registrierzentren um, Grüne biedern sich auf Kosten von Menschenleben bei der CDU an und die Linkspartei – tja, trotz einigen politisch tragfähigen Ansätzen steht in der Abgeordnetenriege jetzt eine Frau an der Spitze, die mit den Nazis von PEGIDA gerne ins Gespräch kommen will. Kein verlässlicher Partner, so scheint es, was Politik für (und ggf. auch von) Geflüchteten angeht.

Geflüchtete in Berlin und ihre Unterstützer_innen

Bundespolitik schön und gut mag man meinen, aber was hat das mit Berlin zu tun? In Berlin zeigen sich auf flüchtlingspolitischer Ebene gerade zwei zentrale Themen. Einerseits beklagen viele Helfer_innen-Initiativen die fehlende Unterstützung durch Regierungspolitik und Verwaltung – das Chaos vor dem LAGeSo, die Qualität der Unterkünfte, die langsame Reaktion der Öffnung der staatlichen Infrastruktur (wie z.B. die Beförderung im ÖPNV) und viele weitere Dinge. Die Helfer_innen begleiten Geflüchtete durch einen offenen, menschenfreundlichen und ordnungsgemäßen Prozess, sondern sie stapfen mit ihnen durch Schlamm, Hunger und Chaos. Das Drama um Mohamed, das Kleinkind, das vor dem LAGeSo entführt und getötet wurde, ist nicht nur ein schrecklicher Verlust für die Familie (die sich selber erst polizeilichen Anschuldigungen aufgrund ihres Flüchtlingsstatus ausgesetzt sah), sondern nahm auch viele der Helfer_innen mit in einen dunklen Ort, aus dem sich einige nur schwerlich wieder rauskämpfen können. Dieser Ort ist geprägt von Hilflosigkeit, Verzweifelung, Erschöpfung. Und das Entsetzen darüber, dass der mutmaßliche Täter seinerseits als vorgeblicher Spender das Gelände betrat und sein Opfer mitnahm.

Das zweite zentrale Thema ist ob der chaotischen Zustände der neu ankommenden Flüchtlinge über die letzten Monate in den Hintergrund gerückt, obwohl es jahrelang auf der stadtpolitischen Agenda stand: die politische Selbstvertretung von Geflüchteten. Der Kampf um bessere Bedingungen für Asylsuchende, für die Legalisierung der Illegalisierten, gegen das deutsche Unterbringungssystem in Massenunterkünften („Lagern“), gegen das Arbeitsverbot und – ganz simpel – für ein Bleiberecht fand seine Fixpunkte am Pariser Platz, am Oranienplatz, in der Ohlauer Schule. Mit einer Zermürbungstaktik haben der SPD/CDU-Senat und das grüne Bezirksamt diese Proteste niedergeschlagen, ihre Akteure deportiert und keine strukturellen Konsequenzen gezogen.

Die Ohnmacht überwinden!

Um die Helfer_innen aus der Ohmacht zu befreien, ihnen die Hilflosigkeit zu nehmen, braucht es eine starke politische Vertretung ihrer Interessen im Abgeordnetenhaus. Und Geflüchtete selbst müssen in die Landespolitik: als Menschen mit Fluchterfahrung, die passives Wahlrecht in Berlin haben, oder über Umwege, als Referent_innen von Abgeordneteten. Um Geflüchteten und Helfer_innen eine Stimme zu geben, müssen sie als politische Akteure in das Abgeordnetenhaus einziehen.

2016 sollte in der Berlin-Wahl eine „Refugees Welcome“-Bündnis antreten!

Taktische Überlegungen

2016 könnte es zu einer Neuauflage eines linken Regierungsbündnisses zwischen SPD, Linkspartei und vielleicht auch den Grünen kommen. Das lässt CDU und eventuell auch ihre Brüder im Geiste von der AfD in der Opposition. Eine denkbar ungünstige Position für flüchtlingspolitische Themen in den kommenden Jahren: insbesondere die Linken haben die chaotischen Zustände in Registrierung und Unterbringung durch die Verschleppung und schlechter Organisierung bis 2011 mit zu verantworten. Wer sich über Czaja empört, darf von Bluhm nicht schweigen. Unter der linken Sozialsenatorin wurde die dezentrale Unterbringung aufgegeben und nur unter Widerstand sich dem steigenden Unterbringungsbedarf von Geflüchteten angenommen. Eine Neuauflage von schweigender Flüchtlingspolitik in Regierungsverantwortung, während CDU und AfD sich in menschenhassenden Parolen in der Opposition überbieten werden? Kein Versprechen für eine vernünftige Entwicklung in Berlin. Es braucht eine kräftige Stimme in der Opposition, die Politik für und mit Geflüchteten einfordert.

Sich nur einem Thema zu widmen ist zwar selten eine kluge Idee – in diesem Fall aber erfolgsversprechend und angebracht. Einerseits, weil dieses eine Thema – Geflüchtete als Berliner_innen in Berlin – sich auf sämtliche Fachressorts erstreckt: Sozial- und Innenpolitik als offensichtlichste; Teilhabe-, Arbeits-, Bildungspolitik für die Lebensorganisierung derjenigen, die in Berlin dann auch tatsächlich untergebracht werden, Stadtentwicklungspolitik zur Schaffung von neuem Wohnraum für Geflüchtete, um die dezentrale Unterbringung voranzubringen, Bürgerschaftliches Engagment für Helfer_innen und ihre Arbeitsumstände; Forschung und Technologie zur Förderung von innovativen Ideen, die in den Köpfen der geflüchteten Menschen über das Mittelmeer reisten, Wirtschaft als Fachgebiet für eine offene Unternehmenskultur und die Kontrolle der privaten Firmengeflechte. „Flucht nach Berlin“ ist ein allumfassendes Thema, das abertausende Menschen und Netzwerke repräsentiert. Die Liste der sich stellenden Aufgaben aus der Opposition heraus abzuarbeiten wird alle Zeit beanspruchen, die ein kleines Team aus Halbtagsabgeordnet_innen leisten kann. Für viele andere Themen wird kaum Zeit sein. Ein Ein-Themen-Wahlbündnis ist deswegen die ehrliche und richtige Entscheidung.

Bleibt noch die Überlegung über die Zersplitterung von Wähler_innen-Potential in einem linken Berlin. In meinen Betrachtungen über die Orientierung nach dem Absturz der Piraten empfahl ich im April noch:

[G]egen die Gefahr, die von der AfD und dem rassistischen Mob auch in Berlin ausgehen wird, ist eine starke linke Bewegung notwendig, die in ihren Aktivitätsbereichen mit möglichst wenig Reibungsverlusten zusammenarbeitet, um eine konsequente und kraftvolle Gegenbewegung zu jeder rechten Einflussnahme zu bieten. Es wäre fatal, sollten Potentiale der parlamentarischen linken Parteien zersplittern und an der 5%-Hürde scheitern und damit das Ergebnis schwächen.

Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass das Eintreten für und mit Geflüchteten in Berlin ein Potenial deutlich über der 5%-Marke hat, wenn man es denn überzeugend einwirbt. Die Solidarität ist in Berlin vielleicht nicht so massiv sichtbar wie in Frankfurt, wo tausende Menschen einmal am Zug stehen und winken, oder in Hamburg, wo sich Spendenorganisierung in riesigen Hallen zentriert hat.  Sie ist aber schon seit Jahren vorhanden, vor allem lokal verankert und praktisch-zupackend. Die vielen Hilfsinitiaitven, der durchgehend auf hohem Niveau arbeitende Flüchtlingsrat, die Selbstvertretung über Migrations- und Flüchtlingsbeiräte – vieles musste sich in Berlin nicht neu gründen. Die Solidarität unter Berliner_innen ist nicht zu unterschätzen.

Und sie wird durch diejenigen ergänzte die in den (neu)rechten Wendungen von Grünen und Piraten sich nicht mehr vertreten sehen und denen die Linkspartei zu dogmatisch ist. Sie werden durch ein solches Wahlbündnis nicht unbedingt in der Gesamtheit ihrer politischen Vorstellungen repräsentiert. Aber ein ihnen besonders wichtiges Thema fände damit Eingang in die Landespolitik und ist eine bedeutende Option gegenüber einer ungültigen oder verschenkten Stimme. Natürlich ist auch hier konstante Überzeugungsarbeit notwendig.

Und jetzt schnell …

Grundsätzlich arbeitet das Thema eines solchen Wahlbündnisses für sich selber und kann wettmachen, dass wir bereits mitten im Wahlkampf sind. Aber dennoch: für eine Gründung ist noch viel zu tun, die partizipierenden Träger_innen des Bündnisses müssen sich treffen, sich verständigen. Qualifizierte Menschen müssen sich finden, die eine Landesliste antreten wollen. Es sollte ein Konzept entwickelt werden, Geflüchteten und Menschen mit Fluchterfahrungen eine tragende Rolle im Organisationsprozess zukommen zu lassen und ihnen über die kommenden Jahre die Mitarbeit im Abgeordnetenhaus zu gewährleisten. Auf Einzelheiten kann ich nicht eingehen, auch weil ein solcher Prozess eine eigene Dynamik entwickeln muss, um den an ihm teilhabenden Menschen gerecht zu werden. Eine Blaupause für ein erfolgreiches Wahlbündnis gibt es nicht.

Geflüchtete, Unterstützer_innen, Intiativen, Moabit-Hellerdorf-usw-Hilft dieser Stadt: setzt euch zusammen, kommt ins Gespräch, organisiert euch und macht die Gründe für eure und meine Ohnmacht zur politischen Agenda. Bietet der alltäglichen Hetze in Abgeordnetenhaus und auf der Straße ein starkes Gegengewicht. Auf in den Wahlkampf!

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