Mit Freunden bin ich in den letzten Wochen mehrmals im Gespräch auf eine alte Kontaktanzeige gestoßen, die ich aus Jux und Tollerei mal an ein mir unliebsam gewordenes Blog geschickt habe. Viele Sachen stimmen immer noch, manche haben sich verändert. Ich finde es interessant, wieviel Selbstreflexion damals schon drin steckte und ich möchte mich einfach mal probieren, das als stilistisches Mittel zu nutzen, eine versteckte Momentaufnahme meines Zustandes. Angelehnt war das damals an die “Ehrlichen Kontaktanzeigen” der Zeitschrift NEON.

 

Name: Hans
Alter: 24
Größte: 1,86m
Wohnort: Berlin-Friedrichshain-Nordkiez
Beruf(ung): Student. Praktikant. Bibliothekar. Marketingconsultant. Blogger.
Das sagen die Freunde: Am Anfang schwierig, aber es lohnt sich.
Das sagt die Ex: Nichts mehr.
Ich werde schwach bei: Reflexionsfähigkeit und Selbstbewusstsein.
Wenn ich verliebt bin: habe ich auf einmal Sinn für Kultur.
Ich kann gut: Bier ausschenken. Organisieren. Des Pudels Kern erklären.
Ich kann nicht gut: obiges sein lassen.
Geht gut: Sneakers. Kurze Haare. Hoodies.
Geht nicht gut: Absätze.

Die Suche nach fremden Menschen ist größtenteils erfahrungsgesteuert. So bestimmen Erinnerungen, wem wir uns nähern, welche Anforderungen wir in unseren Träumen an Partner oder Partnerin stellen, welche Eigenschaften wir so schmerzlich vermissen, dass sie in der nächsten Person reproduziert sein müssen. Die Anforderungen, die wir stellen, sagen mehr über unsere Vergangenheit aus, als es eine tatsächlich deskriptive Beschreibung überhaupt könnte. Gleichzeitig sagt sie nichts über die eigentliche Zukunft und die zukünftige Person aus – wie auch, woher sollen wir schon wissen, in was wir uns verlieren. Verlieben. Es sind die positiven Gedanken, die man für die letzten zwischenmenschlichen Beziehungen aufwendet, die Elemente, die man ungeachtet des Scheiterns, zurückwünscht. Die Erkenntnis darüber mag da sein, sie kann aber diese Form der Verarbeitung anscheinend nicht verdrängen.

Insofern entspricht meinem Idealbild ein Mosaik aus vielen Details: Sneakers. Kurze Haare. Zerissene Strumpfhosen. Hoodies. Halstücher. Lange, gelockte Haare. Jeans. Indie-T-Shirts. Ohrringe. Und keine Ohrringe. Und wenn die Tür ein Mosaik aus diesen unterschiedlichen Holzstücken und -formen ist, dann ist der Raum dahinter mit einem Flickenteppich ausgelegt: von der eigenen politischen Gerechtigkeit zutiefst überzeugt zu sein, von dem eigenen Verhalten getragen. Ohne die Frage an mich, ob das richtig sei. Keine Scheu, mich um Hilfe zu bitten, von gemachten Erfahrungen zu profitieren. Meine Familie kennenlernen, meine Familie ersetzen, meine Familie aktzeptieren. Meinen Hund zu lieben, ohne zu vergessen, wo ich bin. Street sein. Studiert sein. Den perfekten Plan im Leben zu haben, nämlich den, flexibel zu sein. Orientierung ohne Bindung. In der Öffentlichkeit die Beziehung verstecken können, im Auto sich über die Kupplung hinweg anschmiegen.

Es geistern soviele Szenen im Kopf herum, die man gerne wieder erleben mag. Weils sie unikat schön waren. Oder weil sie zur schönsten Gewohntheit geworden sind. Natürlich kommt es darauf an, ein neues Kapitel zu schreiben. Neue Szenen zu erleben, neue Gewohnheiten zu etablieren. Aber es erklärt auch die Last, die man mitschleppt. Warum man nie mehr jemand um halb fünf nach Hause fahren will. Warum bestimmte Bezirke für die Abendgestaltung nicht zur Verfügung stehen.

Die Last soll nicht sein, was gesucht ist. Keine vergangene, nur wenig zukünftige. Es soll die Zeit gesucht sein, die so bedeutsam ist. Meet me in Montauk.

Wer hier noch dabei ist, muss erstaunliches Durchhaltevermögen besitzen. Es soll nicht belohnt werden. Aufregendes zu bieten ist schwer in einer Gesellschaft, die von einer Attraktion in die nächste rennt. Fancy Studiengang? Fehlanzeige: es ist Jura. Der Klassiker unter den staubigen Klischees, in seiner Szenenhaftigkeit aber bei Gefallen nicht minder attraktiv. Aber es ist kein proletarischer Streetstyle, wenig wie meine sonstigen fachlichen Ausrichtungen: Geschichte, Philosophie, Netzkultur und digitiale und nicht-digitale Politik. Und werden Freizeitbeschäftigungen wie Kochen besser, wenn man statt sich selbst 20-40 Personen damit versorgt? Immerhin, vegane Sachen sind auch dabei – das ist new, das ist fancy. Ich kann auch Stunden vor einem überdimensionierten Fernseher verbringen, um staffelweise Serien im amerikanischen Original durchzusehen. Oder, auch wenn es selten vorkommt, Polygon-Charaktere per Pixelkanone zu erledigen. Zum Nerdpotenzial gehört sicher auf das Bloggen, das Twittern, das Tumblrn, themenspezifische Kenntnisse in Sicherheitsthemen und ähnlichem Krams, der als sozial inkompatibel gilt. Oder das Schreiben von längeren Texten. Oder fünf Freunde, die stundenlang die Wohnung okkupieren, um sich gegenseitig in einem erdachten Universum Geschichten hin- und herzuerzählen und mit Würfeln dabei zu hantieren – man nennt es Pen & Paper Rollenspiel. Vielleicht ist das aber auch alles mein Vorteil: ich bin durch die meisten Subkulturen schonmal irgendwie durchgeritten und hab mir Vorzüge und Unsäglichkeiten angeschaut. Meine Geschichte weißt von Metalhead über EBM/Futurepop-Präferenzen zu Hardcore & Punk bis hin zu HipHop und Techno unterschiedlichste Szenen und Musikgeschmäcker auf.

Wenig Vorstellungen habe ich davon, was eine Zukunft für mich bereit hält. Mein Lebenslauf hat viele schöne Einträge bei renommierten Firmen und Kanzleien, in wenigen Wochen ist der Auslandsaufenthalt abgeschlossen. Begabtenstipendium, Vereinsmitgliedschaften und Vorstandstätigkeiten. Aber was soll man mit all der Chance antun. Bundeskanzler oder Minister werden, wie meine Großeltern es gebetsmühlenartig als Zukunftsvision wiederholen? Viel Geld in der Großkanzlei, dafür aber erst um 22 Uhr nach Hause kommen. Sowas will ja niemand in einer Kontaktanzeige lesen. Und vor allem will ich nicht die Freiheit verlieren, die ich an Berlin so liebe. Wenn man sich vornimmt, nur wenige Minuten mit dem Hund durch den Kiez zu gehen, an jeder Ecke jemanden trifft und dann am Ende mit Mate auf der nächsten Parkbank endet und sich drei Stunden verquatscht. Ich will auch nicht vermissen, Abends in der großen Gruppe vor der Stammkneipe zu sitzen, die dickflüssige Erbsensuppe zu löffeln und bei Beschwerden von der Richterin aus dem 1. OG vom gegenüberliegenden Haus laut “Gentrifizierung!” zu pöbeln. Sich Mittags in den Park zu legen und einfach einzudösen. Vor der Wohnung zu sitzen und den Gehweg damit zu blockieren und Karten zu spielen, bis auf einmal zehn Stunden vergangen sind und die ersten Sternis und Weinflaschen rausgeholt werden, während irgendjemand treibende Technobeats Richtung Straße lenkt – perfekter Mittwochabend.

Aber ich will auch nicht mein Leben lang einfach unproduktiv in den Tag hineinleben. Ich studiere Jura, weil ich Menschen helfen will, Perspektiven erarbeiten, eine Front im Kampf gegen Repression hochhalten. Zielgerichtet die Kenntnisse verbessern, um wirklich von Nutzen zu sein und nutzen zu können. Und ich möchte auch nach Hause kommen können. Einen Schlussstrich unter den Tag ziehen, von Arbeit und von draußen sein. Luxus haben, in Zeit, wie in Material. Allein sein. Oder zu zweit. Oder zu dritt, wenn der Hund die Schnauze an der Bettkante ablegt. Wie ich im Großen aufbaue und weiter aufbauen möchte, will ich das auch im Kleinen. Ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal im Leben an einem Punkt bin, an dem ich die Definitionshoheit über den Begriff “Zuhause” habe. Das möchte ich bewahren, fernab von nationalistischen Tendenzen. Wenn sich das manchmal in regionalpatriotischer Mackerei über Ostberlin, von Hellersdorf bis Friedrichshain äußert, bitte ich das zu entschuldigen. Eigentlich ist das ja alles nicht so gemeint, und ich bin reflektiert genug, um es nicht als Handlungsgrundlage zu erklären. Auch die gehässige Frage: “Woher kommst du? Und ist das noch Brandenburg oder schon Frankreich?” zählt darunter. Tatsächlich zieht es mich oft in die Ferne. Ostsee ist alljährliches Programm, jedes Jahr der gleiche Ort. Auch hier die Definiton von Zuhause. Und Berge gehen auch immer, auch wenn es nicht die von West Virginia sind. Also auch, wenn ich deine Stadt hasse, eigentlich musst du sie mir nur zeigen. Ich habe nämlich auch genug Orte zu präsentieren, die fernab von Berlin sind.

“Sand wird überschätzt, es sind nur winzig kleine Steine.” – die deutsche Synchronisation von Eternal Sunshine of the Spotless Mind spricht aus der Seele und lässt sich gut für eine Charakterisierung der vorangegangenen Zeilen benutzen. Auch wenn es wie Sand erscheint, es sind nur winzige Fragmente, die sich hier abbilden. Fragmente, die mir in diesem Moment wichtig sind, die ich zu mir gehörig vermitteln möchte. Sie verdecken vieles, was ich kenne oder nicht kenne. Worüber ich bewusst oder unbewusst nicht reden will. Solltest du Kontakt zu mir aufnehmen, kommt viel Arbeit auf dich zu. Genauso wie auch mich. Ob es das wert ist, kann ich nicht versprechen. Im Zweifelsfall hast du einen der schönsten Hunde kennengelernt – mit dem du übrigens nie konkurrieren solltest. Eigentlich sollte er diese Zeilen schreiben.

 Sollten sich jemand nach diesen Zeilen trotz obiger Warnungen berufen fühlen, Kontakt aufzunehmen, so sind hier Möglichkeiten aufgelistet.

 

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